Aero-Bikes: Jedes Watt zählt
Da Velorahmen ursprünglich aus Metallrohren (Stahl, Aluminium oder Titan) bestanden und Rohre (meistens) einen kreisrunden Querschnitt haben, war dies jahrzehntelang auch die übliche Form von Ober-, Unter-, Sitz- oder Sattelrohr und der Sattel- und Kettenstreben.
Seit Faserverbundwerkstoff wie Carbon zur Verfügung stehen, können (fast) beliebige Rohrprofile und Rahmenformen realisiert werden. Dies war der Zeitpunkt, als die Hersteller begannen, für spezifische Zwecke ausgerichtete Rennvelotypen zu entwickeln: Triathlon-/Zeitfahrvelos (= optimiert auf minimalen Luftwiderstand, extrem gestreckte Sitzposition, sehr unbequem, Gewicht eher zweitrangig), Aero-Rennvelos (= optimiert auf geringen Luftwiderstand, gestreckte Sitzposition, meist sehr starre Rahmen, also eher unbequem), Endurance-Rennvelos (= eher aufrechte Sitzposition und weichere Rahmen zur Erhöhung des Komforts für lange Ausfahrten) und Bergvelos (= leicht gestreckte Sitzposition und so leicht wie möglich). Vor wenigen Jahren kamen noch Crosser und Gravel-Velos dazu, welche für den Einsatz abseits der geteerten Strassen ausgerichtet sind.
Was haben alle an internationalen Wettkämpfen eingesetzten Rennvelos gemeinsam? Richtig, sie müssen in ihrem Design den Regularien der UCI (Union Cycliste Internationale) entsprechen, damit sie im Rennsport eingesetzt werden dürfen. Ändert die UCI die Regeln, hat das also immer direkte Auswirkungen auf das Design von Neuentwicklungen. Und genau das ist 2021 passiert. Dadurch wurden aerodynamischere Formen mit flächigeren Profilen möglich.
Doch was bringen Aerorahmen im Vergleich zu anderen Rahmentypen? Sie haben einen geringeren Luftwiderstand und fahren sich wegen des grösseren Radstandes (Abstand Vorder- zu Hinterachse) wie auf Schienen. Allerdings sind sie aufgrund der grösseren Menge verbauten Materials ca. 0.2 - 0.8 kg schwerer als ihre Bergvelogeschwister des jeweiligen Herstellers.
Die von den Herstellern aufgrund des geringeren Luftwiderstands proklamierten Wattersparnisse sind allerdings mit Vorsicht zu geniessen: die meisten Hersteller optimieren ihre Aero-Velos auf Geschwindigkeiten von 40 bzw. 45 km/h. Das ist die Reisegeschwindigkeit der Profis, Amateure bewegen sich eher um die 30 km/h. Bei 45 km/h beträgt die Wattersparnis gemäss Windkanaltests (inkl. Fahrer*in) des Aero-Velos ca. 35 Watt (Aero-Rahmen 25 Watt, Aero-Lenker 3 Watt, Aero-Laufräder 7 Watt), bei 30 km/h um die 20 Watt (= Luftwiderstand steigt nicht linear mit der Geschwindigkeit). Zum Vergleich: da der/die Fahrer*in ca. 75% des Luftwiderstands erzeugt, bringt der Griff in den Unterlenker bei 45 km/h ca. 18 Watt Ersparnis. Je nach Gewicht des/der Fahrer*in, getretenen Wattzahlen und Streckenlänge ist man/frau so bei gleicher Wattleistung einige Sekunden oder Minuten früher am Ziel.
Der Vollständigkeit halber muss noch erwähnt werden, dass Aero-Bikes aufgrund ihrer flächigeren Rahmen und der meistens verwendeten Hochprofilräder anfälliger auf Seitenwind sind und bei Böen eine starke Hand am Lenker benötigen.
Die meisten Profiteams fahren mit drei verschiedenen Rennvelotypen: Zeitfahrvelo, Aero-Velo und Bergvelo. Einige Hersteller haben ihre Aerobikes aber als (relativ) komfortable Allrounder konzipiert, welche klassische Aero-Velos und Bergvelos ersetzen. Bekannte Vertreter dieser Art sind das Specialized Tarmac SL7 (aktuell SL8) und Pinarello Dogma F. Scott zog 2023 mit dem Foil RC nach, was dazu führte, dass die damit ausgerüsteten Profiteams Team dsm-firmenich PostNL und Q36.5 keine spezifischen Bergvelos mehr einsetzen. Dies war allerdings nur möglich, weil Scott die Rahmengeometrie des Bergvelos Scott Addict RC nahezu 1:1 übernahm und Gewichtseinsparungen realisieren konnte. Das Foil RC ist zwar noch etwas schwerer als das Addict RC, aber die Wattersparnis wurde von den Rennfahrer*innen wesentlich höher gewertet als das Mehrgewicht. Für das Modelljahr 2024 zog Trek mit dem Madone Gen 8 nach und das Profiteam Lidl-Trek ersetzte damit auch das Bergvelo Emonda.
Wir Hobbyfahrer*innen können nur von den Wattzahlen und den damit verbundenen Geschwindigkeiten der Profis träumen. Dennoch spürt man/frau den Unterschied. Meine Frau und ich sind jedenfalls sehr zufrieden mit unseren Allround-Aero-Bikes Scott Foil RC 2023 – welche laut Hersteller im Windkanal auf 45 und 30 km/h optimiert wurden. Das kommt den Profis am Berg und uns Hobbyfahrer*innen generell zugute.